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≡ Terrorabwehr auf Kosten der Freiheit? ≡

Ich habe mir erlaubt forgenden Artikel komplett 1zu1 zu übernehmen, da der Schreibstil sehr schön auf das momentan geschaffene „Klima“ im Lande zu sprechen kommt.

gefunden bei: novo-magazin.de

Vor dem Hintergrund einer fatalistischen Rhetorik des „Ernstfalls“ stehen bislang unverrückbare Konstanten des freiheitlichen Selbstverständnisses unserer Gesellschaft zur Disposition. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stellte mit unklaren Äußerungen das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung infrage und sinnierte über nukleare Terroranschläge. Parallel hierzu verwarf Verteidigungsminister Franz Josef Jung in Interviews die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit und plädierte für den Abschuss terroristisch missbrauchter Passagierflugzeuge.

Ein unabsehbarer „Krieg gegen den Terror“ dient heute der Beschleunigung eines obrigkeitsstaatlichen Wandels im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Dass gerade jene rot-grünen Politiker gegen die rhetorischen Exzesse Schäubles und Jungs zu Felde ziehen, die in den letzten Jahren den Boden für die folgenden sicherheitspolitischen „Tabubrüche“ bereitet haben, zeigt, wie wenig wirklichen Widerstand es gegen diese Entwicklung gibt. Besonders während der Regierungszeit von Gerhard Schröder hatte sich die Abwendung der Bundesrepublik von einer dem Bürger rechenschaftspflichtigen Demokratie hin zu einem sich verstärkt an militaristischer Katastrophenabwehr orientierenden „Präventionsstaat“ zementiert.

Heute kehrt sich das ursprüngliche Prinzip einer demokratischen Rechenschaftspflicht staatlicher Organe gegenüber dem Bürger um. Denn die Infragestellung der Unschuldsvermutung, die sich auch verstärkt in der juristischen Praxis abzeichnet, höhlt das demokratische Verhältnis des Bürgers zu denjenigen Behörden aus, die zu schwerwiegenden Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte befugt sind. Doch auch auf der Ebene der politischen Willensbildung hat sich, gerade in der Europäischen Union, ein neuer Autoritarismus etabliert, der den Exekutiven auf dem Gebiet der Rechtsetzung eine dominierende Stellung einräumt und ihnen die Möglichkeit an die Hand gibt, Sicherheitsgesetze zu erlassen, die das bürgerliche Leben verstärkter Kontrolle unterwerfen.

Indem aber obendrein der Grundsatz der Trennung innerer und äußerer Gewalt heute einer verstärkten Relativierung unterliegt, werden diese obrigkeitsstaatlichen Entwicklungen noch einmal vertieft und verstetigt. Denn damit schwinden diejenigen Sicherungen, die die innenpolitische Instrumentalisierung eines propagierten Kriegszustands zum Zwecke der Aufhebung verfassungsmäßiger Freiheitsverbürgungen verhindern sollten.

Obrigkeitsstaatlicher Paradigmenwechsel
Insbesondere die Europäische Union hat sich zu einer institutionalisierten Abschwächung demokratischer Rechenschaftspflicht entwickelt. Mittlerweile produziert auf der Ebene der EU ein Rechtsetzungsprozess, der von nationalen und supranationalen Exekutiven dominiert wird, rechtsverbindliche Vorgaben für die nationalen Parlamente. Diese betreffen sowohl das nationale Polizei- wie auch Strafrecht. Der Europäische Haftbefehl etwa, der die Auslieferung von EU-Bürgern an jeden der jetzt 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union legalisiert, wurde den nationalen Parlamenten auf EU-Ebene vorgegeben.

Auch am Beispiel der biometrischen Ausweispapiere oder der vorsorglichen Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten aller EU-Bürger lässt sich deutlich erkennen, wie sich schon in Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition der obrigkeitsstaatliche Wandel verfestigt hat. Auf der Ebene der Rechtsetzung zeigt sich dies darin, dass politische Weichenstellungen nicht mehr in einer „von unten nach oben“ verlaufenden Legitimationskette entstehen. Heute setzen die Regierungsexekutiven, die mit einer expertokratischen EU-Kommission zusammen den EU-Rechtsetzungsprozess dominieren, den nationalen Parlamenten einen verbindlichen Rahmen, innerhalb dessen den direkt gewählten Volksvertretern nur noch „Spielräume“ zur nationalstaatlichen „Umsetzung“ verbleiben. In Zeiten des sicherheitspolitischen Aktionismus hat sich diese autoritäre Art der Gesetzgebung als ein geeignetes Vehikel erwiesen, mit dem sich europäische Exekutiven mit neuen Rechtsgrundlagen und Kompetenzen selbst versorgen können.

Diese von oben herab verordnete Stoßrichtung wirkt sich insofern auf das Leben der Bürger aus, als dass diese „vorsorglich“ in ihrem Kommunikationsverhalten erfasst werden und mittels den in den EU-Ausweispapieren implementierten RFID-Chips zumindest theoretisch in ihrer Bewegungsfreiheit überwacht werden können. Die Pläne aus Schäubles Innenministerium, die Vorratsspeicherung tendenziell auch auf biometrische Daten auszudehnen, zeigen genauso in diese Richtung wie das vom sozialdemokratischen Koalitionspartner gebilligte Vorhaben, die Mautdaten nun also doch für Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung zu nutzen. Im Ergebnis erzeugt schon seit Jahren ein demokratiefeindlicher Politikmodus ein obrigkeitsstaatliches Machtverhältnis: Der Bürger unterliegt einer verstärkten Kontrolle und sieht sich einem immer undurchdringlicheren „Leviathan“ gegenüber. Begleitet wird dieser Prozess mit einer immer deutlicher vernehmbaren Rhetorik des „Ernstfalls“ oder des „Notstands“.

Terroristischer Anschlag als Einleitung in den „permanenten Ausnahmezustand“?
Indem vor allem die Unionsparteien das verfassungsrechtliche Prinzip der Trennung zwischen innerer und äußerer Gewalt als überholt abtun, wird der obrigkeitsstaatliche Paradigmenwechsel in der Sphäre des gesellschaftlichen Klimas, unseres ideellen Selbstverständnisses sowie der rechtlichen Verfasstheit weiter befördert und verstetigt. In Zeiten eines schier endlosen „Krieges gegen den Terror“ entsteht ein Zustand des „permanenten Ausnahmezustands“. Dieser bedeutet einen ständigen Machtzuwachs der Exekutive und des Militärs. Dabei sollte gerade die Trennung innerer und äußerer Gewalt die Instrumentalisierung eines propagierten Kriegszustandes zum Zwecke der innenpolitischen Aufhebung verfassungsmäßiger Freiheiten verhindern.

Nach der Vorstellung von Unionspolitikern sollen aber nun bereits terroristische Anschläge unserem freiheitlichen Gemeinwesen die zivile Grundlage entziehen. Unionspolitikern schwebt die Aufhebung der Trennung zwischen Militär und Polizei zugunsten eines sogenannten „Gesamtverteidigungskonzepts“ vor. Dann würde ein terroristischer Anschlag irgendwo in Deutschland den Verteidigungsfall einleiten: Dies hätte dann die flächendeckende Einführung des Kriegsrechts zur Folge. Nicht nur die Macht der Exekutive und des Militärs würde dadurch stärker und einem kontinuierlichen Abbau demokratischer Rechte der Boden bereitet. Auch auf gesellschaftlicher Ebene setzte dann eine ideelle Entwertung von bürgerlichen Freiheitsrechten ein, da Freiräume in Zeiten des „Ausnahmezustands“ als „gefährlich“ gelten.

Freiheitsfeindliche Präventionslogik
Schäubles Äußerungen zur Unschuldsvermutung besiegeln zudem die Entwicklung des freiheitlichen Rechts- in einen präventiven Sicherheitsstaat. Dieser unterzieht den Bürger einerseits einer verstärkten Gängelung und Beobachtung, entzieht sich jedoch gleichzeitig seiner ursprünglichen demokratischen Rechenschaftspflicht, indem er im Geheimen operiert und der Öffentlichkeit nur wenig Nachvollziehbares von seinen Beweggründen offenbart.

Vor allem am Strafrecht kann man diesen Trend deutlich erkennen. Dieses war ursprünglich an der Idee der Freiheitssicherung orientiert. In Form des Grundsatzes in dubio pro reo legt das moderne Strafrecht den Sicherheitsorganen eine strenge Rechenschaftspflicht auf; auf diese Weise konkretisiert sich das demokratische Verhältnis zwischen Bürger und Staat gerade auf einem Rechtsgebiet, das die größten Gefährdungen bürgerlicher Freiheiten in sich birgt. Es liegt an den Sicherheitsorganen, die Öffentlichkeit im Rahmen eines transparenten und rationalen Strafverfahrens zu überzeugen, dass dem Angeklagten schwere Rechtsverletzungen zum einen zuzurechnen und ihm in Form des Entzugs seiner Freiheit zu vergelten sind.

Hingegen gebiert der „Präventionsstaat“ heute Gesetze, die einerseits an vermutete Entstehungsvoraussetzungen des Terrorismus anknüpfen und Handlungen bestrafen sollen, die nach Ansicht von Sicherheitsexperten typischerweise in terroristische Handlungen münden, andererseits den Sicherheitsbehörden zahlreiche geheime Ermittlungsmethoden an die Hand geben. Auf diese Weise wird auch der Kerngedanke der Unschuldsvermutung ausgehölt: Bürger werden aufgrund vager offizieller Mutmaßungen gesetzlich zum Beweis ihrer „Unbedenklichkeit“ verpflichtet, um weitere Einschränkungen ihrer Handlungsautonomie zu verhindern. Obendrein machen diese Gesetze in der praktischen Wirklichkeit eigentlich nur Sinn, wenn man es mit der jegliche Zweifel ausräumenden Überzeugungspflicht der Sicherheitsbehörden nicht allzu ernst nimmt.

Beispielhaft für diesen neuen Autoritarismus sind die Organisationsstraftatbestände der §§ 129 a und b StGB, die im Vorfeld der eigentlichen terroristischen Handlungen angesiedelt sind und den Polizeibehörden Befugnisse an die Hand geben, die einst nur den Geheimdiensten vorbehalten waren. Anlass polizeilicher Ermittlungen ist hier die bloße Vermutung, dass jemand auf die Begehung irgendwann in der Zukunft liegender terroristischer Straftaten ausgerichtet ist. Hieran knüpfen geheime Polizeimethoden an: Postkontrollen, Telefonabhöraktionen, Observationen oder die Einschleusung verdeckter Ermittler in „verdächtige“ Milieus. Diese geheimen Methoden verlängern sich tendenziell auch in den Strafprozess hinein: Hier werden Akten manipuliert oder dem Gericht oder dem Zeugen vorenthalten, man sperrt Zeugen aus Gründen des Quellenschutzes oder lässt sie mit eingeschränkten Aussagegenehmigungen zu; oder es werden Zeugen vom Hörensagen bestellt, um verdeckte Ermittler anonym zu halten.

Mit der Unschuldsvermutung wie auch der Trennung zwischen innerer und äußerer Gewalt stehen heute zwei Prinzipien zur Disposition, die sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als unerlässliche Riegel gegen Machtanmaßungen einer unberechenbaren Obrigkeit etabliert haben. Rechtliche und ideelle Grundlagen unserer Demokratie sind gefährdet, wenn sich staatliche Macht öffentlicher Kontrolle entzieht, sich aber gleichzeitig die staatliche Kontrolldichte des gesellschaftlichen Lebens erhöht. Ohne wirklich zu glauben, schlimme terroristische Anschläge verhindern zu können, wird dabei auch die Einführung eines (zumindest latenten) Kriegszustands im Inneren der Republik diskutiert. Ein solcher würde den Abbau demokratischer Freiheitsrechte verstetigen und zugleich verschärfen.

Kai Rogusch lebt als Novo-Redakteur und Jurist in Frankfurt am Main. Von ihm erschien zuletzt in Novo88 „HARTZ: Vom Sozialstaat zur Bedürftigkeitsprüfungsanstalt“.

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  1. 24. Februar 2008 um 18:29

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